A. Thumfart u.a.: Staatstheorien des italienischen Bürgerhumanism

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Titel
Staatstheorien des italienischen Bürgerhumanismus. Politische Theorie von Francesco Petrarca bis Donata Giannotti


Autor(en)
Thumfart, Alexander; Waschkuhn, Arno
Erschienen
Baden-Baden 2005: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
343 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bee Yun, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Politikwissenschaft

Der von Hans Baron geprägte Begriff des ‚Bürgerhumanismus’ hat in der letzten Zeit besonders im angelsächsischen Raum rege Diskussionen und Verbreitung erfahren. Barons Diskussion zur ausgesprochenen Hingabe florentinischer Humanisten des 15. Jahrhunderts zum republikanischen Ideal und deren Plädoyer für die vita activa im Rahmen der politischen Gesellschaft hat als Inspiration für die Arbeiten von John Pocock und Quentin Skinner gedient.1 Ihrerseits glaubten Pocock und Skinner die angelsächsischen Tradition des Republikanismus in der von Baron behandelten republikanischen Tradition Italiens finden zu können. In Deutschland fand die der politischen Theorie des betroffenen Zeitraums keine vergleichbare Beachtung. Abgesehen von verstreuten Behandlungen einzelner humanistischer Autoren, ist der nennenswerte letzte Versuch einer Gesamtdarstellung lediglich ein von Walter Rothholz 1976 herausgegebener Sammelband, der neben Machiavelli und Guicciardini aus der Fülle der Autoren, die Baron diskutierte, nur drei behandelte.2 Insofern erklären sich die großen Erwartungen, die das hier zu besprechende Buch ‚Staatstheorien des italienischen Bürgerhumanismus’ der Politologen Alexander Thumfart und dem leider jüngst verstorbenen Professor Arno Waschkuhn (beide Universität Erfurt) im Vorfeld der Veröffentlichung weckten: Eine Forschungslücke sollte geschlossen werden.

Ein kurzer Blick über die Vielfalt und Fülle der behandelten Denker rechtfertigt diese Erwartungen. Die drei einleitenden Kapitel erörtern ausführlich den realhistorischen sowie ideengeschichtlichen Kontext, der die Herausbildung und Entwicklung des Bürgerhumanismusbegriffs bedingt hat. Dem folgt eine Diskussion von sieben bedeutenden Denkern (Francesco Petrarca [Kap. 4], Coluccio Salutati [Kap. 5], Leonardo Bruni [Kap. 6], Poggio Bracciolini und Leon Battista Alberti [Kap. 7], Girolamo Savonarola [Kap. 8], und Donato Giannotti [Kap. 9]). In der Behandlung der einzelnen Denker und ihrer theoretischen Schwerpunktsetzung sticht die mehr als ausführliche Einbeziehung der aktuellen Forschungsdiskussion ins Auge. Die ideengeschichtlich orientierten Untersuchungen der Abschnitte werden wiederum in den abschließenden drei Kapiteln im Hinblick auf weitere diesbezügliche Entwicklungen der Folgezeit bilanziert und schließlich an relevante Fragen des gegenwärtigen Politikverständnisses gekoppelt. Durch diese Struktur wird der Band von einer ungeheuren thematischen Vielfalt geprägt. Während bei Baron das fachspezifische Spezialinteresse überwog, ist an der Diskussion von Thumfart und Waschkuhn der Gegenwartbezug ständig ablesbar. Obwohl die Überschneidung der vielfältigen Themen und das Ineinandertreten der historischen Untersuchung und des Gegenwartsinteresses manchmal die Lektüre erschweren, muss man sie doch eher als einen erfrischenden und in den bisherigen Diskussionen im angelsächsischen Raum immer vermissten Versuch hoch bewerten.

In der Behandlung der historischen Entwicklung des Bürgerhumanismus selbst ist das Buch ein ambitiöser Versuch. Dabei versuchen die Autoren die wesentliche Triebkraft der zeitgenössischen politischen Ideologien herauszuarbeiten – jene Triebkraft, die die Einheit und Vielfalt sowie innere Konsistenz und Widersprüche zeitgenössischer politischer Diskurse grundsätzlich bestimmt hatte. Mit ihrer Bestimmung des Bürgerhumanismus-Begriffs grenzen sich Thumfart und Waschkuhn von Baron allerdings deutlich ab, der die Hingabe an die republikanische Staatsverfassung als wesentliches Merkmal des Bürgerhumanismus ansieht. Wie bei Baron ist der Gegenpol des Bürgerhumanismus zwar die Tyrannei, aber bei Thumfart und Waschkuhn bezeichnet Tyrannei keine konkrete Regierungsform. Hiermit korrigieren Thumfart und Waschkuhn Baron, der, in seinen Studien den Selbstdarstellungen und -auffassungen der florentinischen Humanisten unkritisch folgend, das Leben unter dem republikanischen Regime mit dem Zustand der Freiheit und die Monarchie mit der Tyrannei gleichsetzte. Wesentlich wird aber der Bürgerhumanismus nach Thumfart und Waschkuhn durch die Überlegung zu normativen Bedingungen des inneren Friedens und der gerechten Herrschaft charakterisiert (S. 63-67). So besehen lösen sich manche Forschungsprobleme, die Baron und andere ihm folgenden Forscher ständig beschäftigt haben, als bloße Scheinfragen auf, z. B. wie Salutatis Lobpreisung der Monarchie als bester Verfassungsform zu verstehen ist, ob sie seine in den Staatsbriefen und persönlichen Äußerungen ausgedrückte dezidierte Verfechtung der republikanischen Werte als unechte Rhetorik und rein diplomatische Propaganda erweist oder ob hier eher die Änderung der Position zu bestätigen ist, wie Baron annahm. Denn eine konkrete Verfassungsform ist nach Thumfart und Waschkuhn keine wesentliche Bestimmung des Bürgerhumanismus (S. 131f.).

Gerade dieser neue Bürgerhumanismusbegriff macht aber die gesamte Konzeption des Buches unklar und fraglich. Vor allem erscheint der so konstruierte Begriff Bürgerhumanismus als zu global, um als analytisches Kriterium dienen zu können und die Besonderheit der politischen Ideologie der italienischen, vor allem florentinischen Renaissance abzubilden. Bislang ist stets die Normativität der Herrschaftsaktionen, die die Herstellung eines inneren Friedens und der Gerechtigkeit zum Ziel hatte, in den Mittelpunkt der Überlegung gestellt worden. Beliebige Autoren des Mittelalters, sei es Johannes von Salisbury (12. Jh.), die Publizistik des Investiturstreites (11. Jh.) oder Isidor von Sevilla (6-7. Jh.), zeigen zur Genüge, dass sich grade die Politiktheorie des Mittelalters aus dieser Tendenz nicht nur nicht ausgenommen haben, sondern für sie sogar repräsentativ war. Wird die mittelalterliche Monarchiekonzeption als reine Berechtigung zur Willkürherrschaft verstanden, so ist damit eine ungenügende Kenntnisnahme der mittelalterlichen politischen Theorien bezeugt. Thumfart und Waschkuhn erweitern also mit ihrer begrifflichen Neubestimmung den Bürgerhumanismus zu einem universalen Begriff, der auch auf die ideologischen Erscheinungen anderer Zeiten angewendet werden kann. Aber leugnen die Autoren mit ihrem neuen Bürgerhumanismusbegriff paradoxerweise nicht die Existenz des Bürgerhumanismus selbst als klar abgrenzbares und autonomes ideologisches Gebilde? Insgesamt erscheint es fraglich, ob derart universaler Begriff überhaupt von analytischem Nutzen ist.

Weitere Aspekte erscheinen an der Konstruktion des Begriffs des Bürgerhumanismus problematisch: Die Autoren betonen die Stadt-Bezogenheit des Bürgerhumanismus in seiner Genese. Hier kann nicht näher darauf eingegangen werden, dass die jüngste Mentalitätsforschung das alte Dogma der spezifischen Mentalität der städtischen Bürger/innen in den mittelalterlichen Lebensbedingungen immer wieder in Frage gestellt hat. Keines der Merkmale, die Thumfart und Waschkuhn zur Charakterisierung des Bürgerhumanismus anführen – weder die betonte Rationalität und Normativität der politischen Entscheidung unter der Zielsetzung von Frieden und Gerechtigkeit, noch das scharfe Bewusstsein der Kontingenz in der menschlichen Praxis – ist als spezifisch städtisch bedingt anzusehen. Hier fällt eher noch einmal die unzureichende Kenntnisnahme der mittelalterlichen politischen Theorien schmerzlich auf. Auch die Behandlung und Zuordnung einzelner Denker bei Thumfart und Waschkuhn ist gelegentlich problematisch. Wären z. B. Salutatis ‚De seculo et religione’, und Poggio Bracciolinis ‚De varietate fortune’ ausführlicher berücksichtigt worden, so wäre den Autoren aufgefallen, dass das in den beiden Schriften geäußerte Lebensideal nur schwer mit der vita activa vereinbar ist, welche Thumfart und Waschkuhn als Wesensbestimmung des Bürgerhumanismus hervorheben.

Diese Mängel machen es schwierig, die eigentliche Intention von Thumfart und Waschkuhn, die historischen Entwicklungen der politischen Ideologien in Florenz zwischen der Mitte des 14. Jahrhunderts und der Mitte des 16. Jahrhunderts in eine einheitliche Konzeption zu bringen, als vollständig gelungen anzusehen. Dabei kann der Band zugegebener Maßen nicht als allgemeine Darstellung der Gemeinsamkeit und Vielfalt politischer Theorien der italienischen Humanisten verstanden werden. Dazu ist die Darstellung in ihrer Auswahl der behandelten Denker zu selektiv und unvollständig. Humanismus- und Renaissanceforscher/innen muss auffallen, dass eine Reihe wichtiger Autoren, wie Matteo Palmieri, Giovanni Pontano, Bartolomeo Sacchi und Bartolomeo Scala keine gebührende Berücksichtigung in dem Buch fanden, ohne dass eine überzeugende Erklärung dafür gegeben würde.

All diese Probleme verweisen auf die Schwierigkeiten, eine derartige Forschungslücke der letzten 30 Jahre zu schließen. Gerade deswegen verdient die vorgelegte Arbeit Wertschätzung und kontroverse Diskussion. Insgesamt bieten Thumfart und Waschkuhn wertvolle Anregungen zur weiteren Forschungsarbeit. Trotz der aufgezeigten Mängel ist der Versuch, die in der letzten Zeit in Deutschland nur sehr wenig berücksichtigten Denker der italienischen Renaissance wieder der Forschungsaufmerksamkeit zuzuführen, sehr lobenswert. Auch der Versuch, Gegenwartsbezüge unter Berücksichtigung der umfangreichen Forschungsliteratur auszubauen, verdient Applaus.

Anmerkungen:
1 Baron, Hans, The Crisis of the Early Italian Renaissance. Civic Humanism and Republican Liberty in an Age of Classicism and Tyranny, 2 Bde., Princeton 1955; einbändige revidierte Auflage Princeton 1966
2 Rothholz, Walter (Hg.), Das Politische Denken der Florentiner Humanisten, Kastellaun 1976.

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